Heine – Ein Denkmal mit vier Seiten

Heine – Ein Denkmal mit vier Seiten

Bestands-Aufnahmen von Hannes Stütz und seiner Kamera
Hrsgg. von der Villa Ichon e.V., Bremen 2014

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Einführende Worte zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im Kaminsaal der Villa Ichon am 7.11.2014. Sie soll bis 14. 12. 2014 laufen.

Diese kleine Ausstellung ist für mich wie die Eintrittskarte in eine verschwiegene Welt – in die insgeheime Komplizenschaft der Bildhauer mit einigen Fotografen und umgekehrt.

Die Anstösse für eine solche Komplizenschaft sind nicht schwer zu erraten.

Ein Tafelmaler, ein Zeichner, die können ihre Arbeiten zumindest für private Zwecke problemlos reproduzieren – man hat von einem Foto oder einem Druck zumindest einen Eindruck für das Gesamte. Wenn es Probleme gibt, dann ist es die Farbe – wie weit sie dem Original nahe kommt.

Der Bildhauer hat die Farbprobleme nicht, zumindest da nicht, wo er im öffentlichen Raum gearbeitet hat. Wind und Wetter, Sonne und Mond können je nach Material die Farbnuancen stündlich ändern. Farblich gibt es da für unsere Augen kein Original. Sowenig wie bei einem Bachkiesel.

Der Bildhauer hat dafür andere Probleme, wie er seine Arbeit als Abbildung verbreiten soll – seine Arbeitsweise ist eine Dimension zusätzlich. Da ist plötzlich eine Kunst von 360 Grad rundum und, wenn man dazu den Höhenbogen vom Sockel aufwärts über das Ganze schlägt, noch mal 180. Damit kann die Verwertungsindustrie nicht mehr umgehen – es wäre nicht mehr verwertbar, sprich zu teuer. Die 3 D Analyse gibt es für Szenen im Fußball, aber nicht für die Szene auch eines einzelnen Bildhauerwerkes – und jedes einzelne Bildhauerwerk i s t eine Szene. Von öffentlichem Interesse ist es angeblich auch nicht. Wenn man bedenkt, was allein schon die Straßen kosten.

Und so kommt es, daß zwar Millionen Menschen den Denker von Rodin kennen – aber nur in der 45 Gradsicht der Postkarte, die sich mit ihrem Verwertungswinkel durchgesetzt hat

Aber vielleicht bleibt es doch nicht dabei. Die Kunsthistoriker sind inzwischen auf die geheime Komplizenschaft von Fotografen und Bildhauern aufmerksam geworden. Auf die geheime 3D-Komplizenschaft. 3D nicht in einem Bild, sondern einfach nur mal rundum gegangen mit der wunderbaren Linse in dem Gehäuse.

Zum Beispiel gab es in Zürich 2010 eine Ausstellung „Die Fotografie der Skulptur von 1839 bis heute“. Ein später Anspruch. Wohl kaum einzulösen. Aber immerhin ein Anfang.

Ein zweites Beispiel: Erst vor zwei Monaten, im September 2014 ist in Paris eine vielbeachtete Ausstellung zuende gegangen von Arbeiten des 1989 verstorbenen Robert Maplethorpe, einem erst alternativen und dann gesellschaftlichem Großfotografen aus New York. Und was war Gegenstand der Ausstellung ? In seinem Nachlaß hat man was entdeckt ? Er hat den Denker von Rodin fotografiert. Er ist tatsächlich rundum gegangen. Und aufgrund dieser angeblichen fotografischen Welthistorie habe ich zum ersten Mal gesehen, daß der Denker von Rodin Füsse und Zehen hat.

Grzimek hat es dazu noch gewagt, Figur und Erzählung zusammen zu bringen. Er errichtet oben die Skulptur, die 3. Dimension und erzählt rund um den Sockel zunächst auf Seite 1 das Heinesche Wintermärchen und dann über dieses hinaus. Das ist zwar auch ein klassisches Muster, aber selten in dieser Dichte der bildlichen Erzählung – sonst ist das Untenrum, wenn es stattfindet, eher dekorativ und allegorisch. Man kann es 200 Meter weiter am Olbersdenkmal an der Wallwiese studieren – und zwar durchaus ambitioniert, gekonnt und schön.

Er, Grzimek, errichtet oben die Skulptur, habe ich gesagt – bitte lassen Sie wie ich Ihre Gedanken schweifen – was an deutschen Dichtern und Denkern und Staatsleuten, die in öffentlichem Auftrag gemeißelt oder gegossen wurden, vor Ihren Augen auftaucht.

Die stehen in Stein oder in Sonstwas.
Kaum eine Bewegung.
Allenfalls mal ein Pferd drunter.
Wie bei Bismarck und Moltke in Bremen.

Und hier sitzt einer auf einem Hocker und fuchtelt. Grzimek.

Als Heine das Wintermärchen in seiner Muttersprache und in seinem Heimatland 1844 veröffentlichen konnte, war er schon 13 Jahre im erzwungenen Exil in Frankreich. Und Frankreich war schon 1844 für die kommenden 100 Jahre der angeblich deutsche Erbfeind, bis hin zum Hitler-Foto unterm Eifelturm. Vor dem Kreml hat der sich allerdings nie fotografieren lassen können. Inzwischen scheint es wieder Anwärter und Anwärterinnen auf dieses Foto zu geben. Vielleicht ein neuer Erbfeind, warum auch immer. Dabei hatte schon Napoleon seinen Zeichner zwar dabei, konnte ihm aber nicht die erwünschten Motive liefern.

Nach dem Wintermärchen wurde Heine gar steckbrieflich verfolgt.

Daß er heute in seiner Bremer Denkmal-Position am Altenwall zu Kunsthalle und Villa Ichon auf das ehemalige Polizeigebäude schaut, so leicht spöttisch, wie es ihm ansteht, ist eine schöne Zugabe für den Standort.

Das Denkmal entstand in der ersten Hälfte der 1950er Jahre als Auftrag des Magistrats Berlin-Ost. Wie „revolutionär“ das war, läßt sich evtl. daran ermessen, daß es in Heines Geburtsstadt Düsseldorf geschlagene 20 Jahre dauern mußte, bis sich dort 1988 (!) der Name der Heinrich-Heine-Universität durchsetzen konnte.

Das Denkmal fand dann damals im Ostteil von Berlin nicht den ursprünglich vorgesehenen zentralen Platz – was den Bildhauer sehr geärgert haben muß. Man bildhauert bei Stadtraum ja nicht nur in die Luft, sondern auch in eine bestimmte Umgebung. Zuvor hatte er schon 1953 im nahen Ludwigsfelde eine kleinere Vorversion aufstellen lassen. Bestimmt hat er drei Jahre an dem Denkmal gearbeitet.

Aber es scheint ein ziemliches Gezerre um die Deutungshoheit über Leben und Werk Waldemar Grzimeks im Gange zu sein. Die Internet-Einträge verändern sich, der Magistrat Berlin-Ost ist plötzlich verschwunden, statt dessen taucht eine Einrichtung auf, die aber eine Einrichtung des Magistrats Berlin-Ost war. Es drängt sich der Eindruck auf, daß z.B. Magistrat Berlin-Ost möglichst verschwinden soll.

Wenn dem so wäre, wäre es sehr ungerecht gegenüber dem Leben und der Arbeit Waldemar Grzimeks, der die DDR immer geachtet hat.

Nach 1945, dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bekam er seinen ersten Lehrauftrag in Halle an der Saale an der Kunsthochschule Giebichenstein.

Dort war übrigens Gerhard Marcks von 1928 bis 1933 Direktor, 1933 vertrieben mit vielen anderen von der mit viel Geld staatlich installierten braunen Hexenverbrennungs-Elite – den Oberkellnern für den „Hunger“ nach Land, Getreide, Öl, Metallen und Weltherrschaft

Später in der DDR war die Hochschule eng verbunden mit dem Namen Willi Sitte – auch er aus ganz anderen Gründen fast getilgt aus ihren Annalen.

Für Grzimek folgte ungefähr um 1948 eine Professur an der Kunsthochschule Charlottenburg im Westen Berlins. Die übte er aus, als die damaligen deutschen Separatisten der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen 1949 ihren eigenen Staat machten, ohne den Osten. Dahin, in den Osten, ging er dann wieder, an die hochangesehene Kunsthochschule Weissensee – Nachfolger und zeitweiliger Kollege dort von Gustav Seitz, einem Bildhauer, zu dem Hamburg und Bremen besondere Verbundenheit haben

Grzimeks Heine-Denkmal steht in Berlin jetzt wieder ungefähr am ursprünglich vorgesehenen Platz bei der Humboldt-Uni – in einem zweiten Guß, weil die Anwohner des Weinbergparks i h r Denkmal, wo es seit den 1950ern als eigentlich da nicht so vorgesehen stand, nicht mehr hergeben wollten.

1984 ist Waldemar Grzimek im Alter von nur 66 Jahren gestorben. Seinen Nachlaß hat er dem Gerhard-Marcks-Haus in Bremen vermacht. Bremer Bürger mit Sinn für Kunst und Geschichte und einem ausgeglichenen Kontostand haben eine dritte Realisation dieses Werkes möglich gemacht. Es gebührt ihnen großer Dank von uns allen – auch angesichts der nicht immer einfachen Umstände.

So steht jetzt in Bremen zwischen Altenwall, Kunsthalle und in Sichtweite der Villa Ichon Grzimeks Heine Denkmal – es schlägt einen Bogen über deutsche Geschichte von 1848 fast bis heute und ist selbst schon ein Teil davon. Geformt von einem großen Künstler. Es wäre zu schön, wenn im Laufe der Jahre viele Bremer wüßten, wo i h r Heine-Denkmal steht.